Gunten-Schwanden

Früher hiessen Sieger Merckx, LeMond oder Indurain. Heutzutage heissen sie Friedli. Nicht an der Tour de France, aber zumindest an der diesjährigen Austragung vom Bergrennen Gunten-Schwanden, welche am vergangenen Samstag über die Bühne gegangen ist, und von eben diesem Christoph Friedli in einer Zeit von 20 Minuten und 39 Sekunden gewonnen wurde. Es gibt aber noch weitere Unterschiede zum Radsport früherer Zeiten. So steht Friedli exemplarisch für den sportlich ambitionierten Hobbygümmeler dieser Tage. Der Schreibende kennt ihn zwar nicht persönlich, doch es ist der Rangliste zu entnehmen, dass er weder eine Lizenz gelöst hat, noch einem Radverein zugehörig ist. Zudem ist er bisher sportlich nicht gross in Erscheinung getreten, obwohl Mitte Dreissig, was darauf schliessen lässt, dass es sich um einen Ü30-Einsteiger handeln könnte.

Vorerst aber ein kleiner technischer Exkurs. In einer Prüfung wie jener nach Schwanden beruht alles auf einer einzigen Kennzahl, der gewichtsbezogenen Leistung über eine Stunde Fahrzeit (oder zumindest über 20 Minuten). Der Wert über dem Bruchstrich, die Leistung in Watt, kann nur durch regelmässige Trainingseinheiten im Grenzbereich erhalten und verbessert werden. Die Zahl darunter, das Gewicht in kg, sollte bei einem Fahrer mit einer Durchschnittsgrösse von 1 m 80 cm sicher unter 70 kg liegen. Um am Berg konkurrenzfähig zu sein, idealerweise nicht über 65 kg. Dies wiederum setzt eine disziplinierte Ernährungsweise voraus, auch im Winter. Zu viele VCO-Nussgipfel dürfen da nicht verschlungen werden.

Es bleibt die grosse Frage: Woher kommt die Motivation, einen solch disziplinierten und asketischen Lebenswandel zu verfolgen? Denn trotz der beachtlichen Leistung von Fahrern wie Friedli ist die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein, dass diese jemals an der Tour de France oder an der Tour de Suisse am Start stehen werden. Und um eine Runde von 100 Kilometern und 2000 Höhenmetern zurückzulegen sind Leistungswerte im Bereich von 4 W/kg oder darunter völlig ausreichend, ohne deswegen ausgepustet und entkräftet nach Hause zu kehren. Ist die Digitalisierung des Radsports, die den permanenten Vergleich aller und überall ermöglicht, die Triebfeder zur Professionalisierung im Freizeitbereich?

Als angemessener Ausgleich soll an dieser Stelle einmal ein Lob an alle Fahrer*innen (wobei in diesem Jahr leider keine Frauen am Start standen) ausgesprochen werden, welche sich auch ohne spezielle Vorbereitung an den Start wagen und welche tendenzielle eher in der zweiten Hälfte der Rangliste zu finden sind, nach dem Motto «Dabei sein ist alles». Vielen Dank und bis zur nächsten Austragung 2023!

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